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30.01.2006 | Deutschland/USA: Interview mit Juan Melendez

Spaichingen – Am 2. Mai 1984 beginnt der Albtraum von Juan Melendez: Der 33-Jährige wird unter Mordverdacht verhaftet. Ein Mitgefangener behauptet, Melendez habe ihm den Mord gestanden. Melendez wird zum Tode verurteilt. Nach 17 Jahren, acht Monaten und einem Tag wird er 2002 entlassen. Neue Anwälte fanden das Geständnis des wahren Mörders, das der Staatsanwalt schon vor dem Prozess gekannt hatte. In Spaichingen erzählt Melendez seine Geschichte. Volker Kiemle vom Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg hat ihn vorab befragt.

Wenn Sie an die Zeit im Gefängnis zurückdenken – sind Sie wütend oder erleichtert?

Juan Melendez: Ich bin dankbar dafür, dass ich dort herausgekommen bin und dass ich nun die einfachen Dinge des Lebens schätzen kann – das konnte ich früher nicht. Ich bin dankbar, dass ich mich dort verändert und das Gefängnis als ein besserer Mensch verlassen habe. Am Anfang war ich voll Zorn und Hass, aber mit den Jahren im Todestrakt habe ich durch meinen wachsenden christlichen Glauben und die Hilfe der anderen Todeskandidaten gelernt, das hinter mir zu lassen.

Ist Ihre Verurteilung mehr ein Unfall der Justiz oder weist sie auf einen Fehler im Justizsystem der USA hin?

Juan Melendez: Das war kein Zufall. Ich war der 99. zum Tode verurteilte Mensch seit 1973 in den Vereinigten Staaten, der rehabilitiert und entlassen wurde, weil er unschuldig war. Das irrtümliche Todesurteil war das direkte Ergebnis eines grundlegenden Fehlers des Justizsystems. Es nimmt in Kauf, dass auch unschuldige Menschen getötet werden. Die Todesstrafe trifft fast ausschließlich die wehrlosesten und verletzbarsten Bürger: die Armen. Der Staatsanwalt hatte schon einen Monat vor der Gerichtsverhandlung das Geständnis des wirklichen Mörders vorliegen. Er hat es meinem Verteidiger ganz bewusst vorenthalten.

Wie haben die Jahre im Gefängnis Ihre Beziehung zu Gott verändert?

Juan Melendez: Während der über 17 Jahre, als ich im Todestrakt lebte, kam ich Gott viel näher. Ich lernte, was Mitleid, Liebe und Vergebung bedeuten. Es gab Zeiten, in denen ich deprimiert war und einfach draußen sein wollte. Aber der einzige Weg, dort rauszukommen, ist Selbstmord. Ich war einige Male nahe dran. Aber jedes Mal, als ich kurz davor war, schickte mir Gott einen Traum von Hoffnung und Glück. Gerade im Anti-Terror-Kampf scheint weltweit die Todesstrafe wieder salonfähig zu werden.

Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass Ihr Kampf Erfolg haben wird?

Juan Melendez: Ich glaube nicht, dass die Todesstrafe heute mehr gefordert wird als früher – zumindest nicht in den Vereinigten Staaten. Heute wissen die Leute mehr darüber, besonders über das Problem der unschuldig zum Tode Verurteilten. Eine Meinungsumfrage aus dem Jahr 2004 hat ergeben, dass 65 Prozent aller Amerikaner für die Abschaffung der Todesstrafe sind, wenn an ihrer Stelle eine lebenslange Strafe ohne Aussicht auf Entlassung steht. Immer mehr Leute, auch konservative Politiker, sprechen sich öffentlich gegen die Todesstrafe aus. Die Gerichte sprechen immer weniger Todesurteile aus, die Zahl der Hinrichtungen geht zurück. Das alles gibt mir Hoffnung, dass es uns eines Tages gelingen wird, die Todesstrafe in unserem Land abzuschaffen.

Übersetzung: Volker Kiemle

Initiative gegen die Todesstrafe e.V. | www.initiative-gegen-die-todesstrafe.de

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