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24.06.2008 | Kalifornien: Die Todesstrafe ist nicht zivilisiert

Mord ist für mich kein Fremdwort. Nicht, dass ich selber jemals jemandem das Leben genommen hätte, aber einige meiner Angehörigen sind ermordet worden. Worin ich mich von den meisten Leuten unterscheide, die das gleiche durchgemacht haben, ist die Tatsache, dass ich für beide Seiten des Strafjustizwesens als Anwalt tätig gewesen bin.

Angefangen habe ich als Staatsanwalt. Ich habe Anklageschriften ausgearbeitet, mit denen die Todesstrafe gegen Angeklagte verhängt werden konnte, und ich habe durch Prozesse oder Gesuche Leute ins Gefängnis gebracht für alle erdenklichen Straftaten, von Scheckvergehen bis hin zu Mord. Ich habe einfach meine Arbeit getan, ohne mir wirklich deren Tragweite bewußt zu machen. 1991 wechselte ich dann auf 'die andere Seite', ich übernahm Appelle von Todesstrafenhäftlingen in Kalifornien und kämpfte gegen dasselbe System, dem ich einst selbst gedient hatte. Doch nichts hatte mich darauf vorbereitet, was sich in meinem eigenen Leben bald ereignen würde.

Drei Jahre, nachdem ich begonnen hatte, für Häftlinge tätig zu werden, die wegen Mordes zum Tode verurteilt waren, wurde 1994 mein Bruder Danny ('Deuce') in Kansas City in Missouri getötet. Er hatte Auszeichnungen für seinen Dienst in Vietnam erhalten und fand nach dem Krieg eine Anstellung als Mitarbeiter im RedCap-Gepäckdienst bei Amtrak. Nach und nach arbeitete er sich hoch zum Lokführer und fuhr die Route Chicago – Los Angeles. Kaum zu glauben: mein großer Bruder fuhr tatsächlich den Zug. Er war ein großartiger Bursche und ein wunderbarer großer Bruder. Als er ermordet wurde, war das ein furchtbarer Schlag für meine Familie und jeden, der ihn kannte.

Zwar arbeitete ich zu der Zeit als Verteidiger für Todesstrafenfälle, doch mein Impuls, die Täter selbst zu stellen und zu töten überraschte mich wirklich. Sie wurden schließlich gefaßt, doch aufgrund von Formfehlern mußte der Fall eingestellt werden. So mußte ich die schreckliche Tatsache ertragen, daß niemand für die Ermordung meines Bruders zur Rechenschaft gezogen wurde. Doch selbst wenn es zu einem Verfahren und einem Urteil gekommen wäre, nichts hätte meiner Familie den erlittenen Verlust ersetzen können. Absolut nichts – weder die Todesstrafe, noch die höchste Strafe, die ich mir für seine Mörder ausgemalt hätte – konnte ihn zurückbringen. Einen Schlußpunkt würde es für uns nicht geben.

Nachdem ich auf beiden Seiten des Strafjustizwesens gearbeitet hatte und mit der unauslöschlichen Erfahrung, meinen Bruder auf diese tragische Weise verloren zu haben, ohne Anklage und Vergeltung, stand ich nun vor der Frage, wie 'Hinrichtung' und 'Schlußpunkt' zu einer künstlichen Einheit verknüpft werden, mit der Todesstrafenbefürworter ihre Einstellung begründen. Doch da ich die Ermordung meines Bruders überlebt hatte ohne 'Unterstützung' durch die Todesstrafe, scheint mir bewiesen, daß die Todesstrafe nicht halten kann, was ihre Befürworter behaupten. Sie hat keine abschreckende Wirkung. Sie wird weder fair noch gerecht gehandhabt. Sie verhilft nicht zu einem Abschluß. Stattdessen fesselt sie die Angehörigen des Opfers und die gesamte Gesellschaft stets an den Akt des Ritualmordes zur Vergeltung. Sie kostet uns ungeheuer viel – sowohl finanziell als auch seelisch. Sie hindert uns daran, selber unseren höchsten Idealen hinsichtlich Gerechtigkeit und Unantastbarkeit des Lebens zu entsprechen. Sie ist einer der größten Mißerfolge unserer öffentlichen Ordnung und sollte unverzüglich abgeschafft werden.

Bei der Abschaffung der Todesstrafe geht es nicht um die Haltung 'pro' oder 'kontra' sondern um Prioritäten. Und bei einer fairen Beurteilung, was zu unseren Prioritäten zählen sollte, kann die Todesstrafe unmöglich dazugehören. Wir können die Gesellschaft auch ohne die Todesstrafe beschützen. Wir können diejenigen bestrafen, die unschuldigen Menschen das Leben genommen haben, ohne unsererseits ins Töten einzusteigen. Man darf Todesstrafenbefürwortern nicht trauen, wenn sie uns wortgewandt versichern, daß Polizei, Staatsanwaltschaft und der Staat unfehlbar seien und noch nie gelogen oder Fehler gemacht haben. Und wir sollten auch denjenigen, die uns sagen, Fehler seien unvermeidbar, keine Machtbefugnis anvertrauen. Wir werden wohl nie erfahren, wie viele unschuldige Menschen wir schon hingerichtet haben, doch wir können Fehler beheben wie den, der der durch Entlastung von 128 Todestraktinsassen landesweit augenscheinlich wurde. Wir können Menschen dazu verurteilen, im Gefängnis zu sterben, wir nennen das 'life without parole' – lebenslänglich ohne Bewährung. Dadurch werden Leute, die furchtbare Verbrechen begangen haben, daran gehindert, der Gesellschaft erneut Schaden zuzufügen. Die Vorstellung, sein ganzes irdisches Leben hinter Gittern zu verbringen, ist eine weitaus schlimmere Bestrafung als eine Hinrichtung und läßt wohl viel eher jemanden davor zurückschrecken, möglicherweise einen Mord zu begehen.

In den vergangenen 17 Jahren hat der Staat 13 Menschen hingerichtet, von denen einige durchaus für Begnadigungen in Frage gekommen wären, von denen einige möglicherweise unschuldig waren und für Verbrechen starben, die sie nicht begangen hatten. Diese Hinrichtungen haben uns nicht sicherer gemacht, und das Nichtvollstrecken von Todesurteilen hat uns auch nicht unsicherer gemacht. Wir können froh sein, daß Kalifornien in den letzten beiden Jahren niemanden hingerichtet hat.

Die Bürger Kaliforniens müssen bei sich und ihren politischen Führern höhere Maßstäbe anlegen. Wir sollten staatlich sanktioniertes Töten ablehnen. Wir sollten Rache als Mittel der öffentlichen Ordnung ablehnen. Wir sollten eine Strafjustiz ablehnen, die systematisch Arme, psychisch Kranke, Entrechtete und Enteignete ins Visier nimmt. Die öffentliche Sicherheit kann dadurch gewährleistet werden, daß wir unsere Resourcen und unser Wissen unmittelbar in Lösungsansätze für das Problem Gewaltverbrechen investieren.

Am besten investieren wir in einen klugen, menschlichen, progressiveren Ansatz zur Gewaltbekämpfung sowie in bessere Lebenbedingungen für alle Bürger. Es ist an der Zeit, dem Gouverneur und den Politikern in diesem Staat und in den ganzen USA eindeutig zu signalisieren, dass wir des unwirksamen, kostenintensiven, ungerechten und gescheiterten Experiments mit der Todesstrafe überdrüssig sind.

Die Versprechungen, sie werde fair angewendet, habe abschreckende Wirkung, verhelfe zu einem Schlußpunkt, sind unglaubwürdig. Wir brauchen Führungspersönlichkeiten, die Lösungen anregen und nicht Haß und Angst schüren. Wir brauchen Führungspersönlichkeiten, die Gedanken entwickeln, keine Politiker, die um Wählerstimmen buhlen, indem sie ihre Bereitschaft andienen, Menschen zu töten.

Wir sollten einfordern, daß unsere öffentlichen Mittel einem höheren Ziel dienen. Wir sollten unsere Intelligenz einsetzen, dem Problem Gewaltverbrechen an dessen Wurzel zu Leibe zu rücken – dort, wo unsere Kinder in einer Lebenssituation der Entbehrung und der Chancenlosigkeit aufwachsen und eher den Weg der Gewalt wählen, anstatt sich für eine Führungsrolle in der Gemeinschaft zu entscheiden. Wir sollten ein System schaffen, in dem Straftäter aus der Gesellschaft entfernt werden ohne dabei Schlag Mitternacht staatlich sanktioniert auf ritualisierte, genau durchdachte, vorsätzliche, kaltblütige Art und Weise zu töten – alles unter dem Deckmäntelchen der Justiz. Wir sind doch besser, und wir können das doch besser.

Initiative gegen die Todesstrafe e.V. | www.initiative-gegen-die-todesstrafe.de

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