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27.05.2009 | Richter ändern Vorschrift zu Polizeibefragungen Anwälte müssen nicht anwesend sein

Der Oberste Gerichtshof hob gestern eine seit langem gültige Regelung auf, wonach Polizisten einen Verdächtigen nicht vor Eintreffen seines Anwalts beginnen durften ihn zu vernehmen. Den Anklägern wird dadurch die Befragung verdächtiger Personen erleichtert.

Mit 5 zu 4 Stimmen hoben die Richter des Obersten Gerichtshofs die Entscheidung in Michigan v. Jackson aus dem Jahr 1986 auf, die besagte, mit dem Verhör eines Verdächtigen, der einen Anwalt hat oder der um einen Rechtsbeistand gebeten hat, darf erst begonnen werden, wenn sein Anwalt anwesend ist. Die 'Jackson-Vorschrift' galt selbst für diejenigen, die bereit waren, ohne Beisein ihres Anwalts mit den Behörden zu sprechen.

Die konservativen Mitglieder des Gerichtshofs stellten sich nun gegen diese Meinung. Richter Antonin Scalia sagte, sie sei 'wenig durchdacht' gewesen. Laut der Jackson-Vorschrift durfte die Polizei nicht einmal dann einen Verdächtigen befragen, dem man einen Verteidiger zugeteilt hatte, wenn der Verdächtige von sich aus reden wollte, so Scalia.

'Es wäre völlig unangebracht anzunehmen, dass das Einverständnis eines Angeklagten in eine polizeiliche Befragung unfreiwillig oder erzwungen war, aufgrund der bloßen Tatsache, dass man ihm zuvor einen Anwalt zugewiesen hatte', so Scalias Ausführungen in der Entscheidung des Gerichts.

Beim Verlesen der Meinung des Gerichts sagte Scalia, die Entscheidung werde aufgrund der in anderen Entscheidungen getroffenen gerichtlichen Vorkehrungen nur 'minimale' Auswirkungen für Angeklagte haben. 'Die beträchtliche ungünstige Wirkung dieser Vorschrift auf die Befähigung der Gesellschaft, Verbrechen aufzuklären und Straftäter vor Gericht zu bringen, überwiegt deutlich die Möglichkeit, ein tatsächlich erzwungenes Einverständnis zu verhindern, ohne Beisein des Anwalts auszusagen', sagte Scalia.

Die Ausführungen zu Michigan v. Jackson schrieb seinerzeit Richter John Paul Stevens, der einzige auch heute noch amtierende Richter des damaligen Gremiums. Neben ihm stimmten auch David H. Souter, Stephen G. Breyer und Ruth Bader Ginsburg gegen die gestrige Entscheidung. Stevens verlas seine abweichende Meinung von der Richterbank aus. Es war das erste Mal in dieser Periode, dass ein Oberster Richter seine abweichende Meinung laut vortrug.

'Die polizeiliche Vernehmung verletzt in diesem Fall eindeutig das Recht des Angeklagten auf Rechtsbeistand, das ihm aufgrund des Sechsten Zusatzartikels zusteht', sagte Stevens in seiner abweichenden Meinung. Das Aufheben der Jackson-Vorschrift sei dazu geeignet, 'das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Zuverlässigkeit und Fairness unseres Justizwesens verringern'.

Die Regierung unter Obama hatte den Gerichtshof aufgefordert, Michigan v. Jackson aufzuheben, und sich dadurch den Unmut von Bürgerrechtsgruppen zugezogen.

Das Justizministerium war in einem von Solicitor General Elena Kagan* (sie vertritt die Bundesregierung vor dem Obersten Gerichtshof) unterzeichneten Schriftsatz der Auffassung, die Entscheidung aus dem Jahre 1986 'diene keinem echten Zweck' und biete lediglich 'dürftige Vorzüge'. Die Regierung sagte, Verdächtige, die vor der Polizei keine Aussage machen wollten, müssen dies auch nicht tun und die Beamten hätten diese Entscheidung auch zu respektieren. Doch sehe man keinen Grund, weshalb ein Verdächtiger nicht die Fragen der Beamten beantworten sollte, wenn er zur Aussage bereit sei.

Auch 11 Bundesstaaten schlossen sich dem Aufruf der Regierung an, die Entscheidung von 1986 zu aufzuheben.

Die Entscheidung wurde im Fall Jesse Jay Montejo getroffen, der 2005 schuldig befunden wurde, am 5. September 2002 Lewis Ferrari in dessen Wohnung erschossen zu haben.

Man hatte Montejo in einer Anhörung am 10. September 2002 einen Pflichtverteidiger zur Seite gestellt, er gab jedoch nie zu erkennen, dass er dessen Hilfe in Anspruch nehmen wollte. Montejo begleitete dann die Polizeiermittler, um ihnen bei der Suche nach der Tatwaffe zu helfen. Zurück im Auto schrieb er einen Brief an Ferraris Witwe, mit dem er sich belastete.

Bei der Rückkehr ins Gefängnis wartete bereits der Verteidiger auf Montejo und war äußerst ungehalten, dass sein Mandant ohne seine Anwesenheit befragt worden sei. Die Polizei benutzte den Brief vor Gericht gegen Montejo und er wurde zum Tode verurteilt. Er legte Berufung ein, doch der Oberste Gerichtshof von Louisiana erhielt das Urteil aufrecht.

Der Oberste Gerichtshof verwies den Fall zurück, damit entschieden wurde, ob noch weitere gerichtlich vorgesehene Schutzmaßnahmen, wie etwa die Miranda-Rechte des Angeklagten (z.B. das Recht zu schweigen) verletzt worden seien.

Nachzulesen bei Montejo v. Louisiana.
(Quelle: Washington Post)

*Elena Kagan vertritt die Bundesregierung vor dem Obersten Gerichtshof

Initiative gegen die Todesstrafe e.V. | www.initiative-gegen-die-todesstrafe.de

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