08.08.2012 | Texas: Geistig Behinderter hingerichtet
Marvin Wilsons niedriger IQ-Wert von 61, der selbst für Texas hätte Grund genug sein müssen, ihn nicht hinzurichten, erschien auch dem Obersten Gerichtshof der USA als kein Hindernis für die Vollstreckung des Todesurteils.
Der Supreme Court wies zwei Stunden vor dem festgesetzten Termin den Antrag von Wilsons Anwälten zurück, ihren Mandanten aufgrund seines Geisteszustands für nicht hinrichtungsfähig zu erklären. Personen mit eingeschränkten geistigen Fähigkeiten dürfen laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2002 nicht hingerichtet werden.
Der festgeschnallte Wilson hob den Kopf, verabschiedete sich von seinen drei Schwestern und seinem Sohn und signalisierte danach dem Direktor, dass er bereit sei. Als das Mittel zu wirken begann, schien er schnell das Bewusstsein zu verlieren, er gab kurz Schnarchgeräusche von sich, dann wurde die Atmung flacher, bis sie ganz aussetzte. Um 18:27 Uhr Ortszeit, 14 Minuten nach Beginn der Hinrichtung, wurde der 54-jährige Wilson für tot erklärt.
Wilson erhielt das Todesurteil, weil er vor zwei Jahrzehnten einen Polizeiinformanten, den 21-jährigen Jerry Williams getötet hatte. Wilson war im November 1992 für den Besitz von 24 Gramm Kokain verhaftet worden, die man in seiner Wohnung fand, jedoch auf Kaution wieder entlassen worden.
Zeugenaussagen zufolge sollen er und ein Komplize namens Andrew Lewis Tage später den Polizeispitzel Williams geschlagen haben. Wilson habe ihn beschuldigt, ihn wegen Drogenbesitzes verpfiffen zu haben. Am folgenden Tag fand man Williams am Straßenrand liegend, lediglich mit Socken bekleidet. Er wies Spuren von Schlägen auf und man hatte ihm aus kurzer Distanz in Kopf und Hals geschossen.
Einen Tag später wurde Wilson verhaftet, als er sich bei seinem Bewährungshelfer meldete; er hatte von einer 20-jährigen Haftstrafe für seinen zweiten Raubüberfall nur vier Jahre im Gefängnis verbüßt, bis er auf Bewährung entlassen wurde.
Im Prozess sagte die Frau seines Komplizen Lewis aus, Wilson habe in Anwesenheit ihres Mannes, seiner eigenen Frau und ihr gesagt, Andrew sei nichts vorzuwerfen, er selber habe die Tat begangen. Andrew Lewis wurde zu lebenslänglich verurteilt.
Üblicherweise gilt in den USA ein IQ-Wert von 70 als die weithin akzeptierte, nicht zu unterschreitende Schwelle, einen Menschen zu exekutieren, doch am Dienstag abend sah es auch der Oberste US-Gerichtshof nicht angezeigt, gegen die Urteilsvollstreckung zu einzuschreiten. Zuvor hatten schon Gerichte niedrigerer Instanz den Antrag zurückgewiesen, da die Ermittlung des Werts von 61 aus einem einzigen, möglicherweise fehlerhaften Test im Jahre 2004 stamme und er nicht durch zusätzliche Beurteilungen erhärtet worden sei.
Von seiten der Staatsanwaltschaft wurde erklärt, der Gerichtshof habe es den einzelnen Bundesstaaten überlassen, entsprechende Richtlinien zu erstellen, ab wann ein Häftling als nicht hinrichtungsfähig gilt und in Texas würden eine Reihe zusätzlicher Faktoren in solch eine Beurteilung einfließen. Dazu gehöre die etwa Einschätzung, wie anpassungsfähig sich ein Häftling zeige.
Edward Marshall, ein stellvertretender Staatsanwalt, sagte, die Unterlagen über Wilson belegten, dass dieser sich in der Regel nicht besonders große Mühe gebe und zudem ganz nach Bedarf andere manipulierte und täuschte. Der Aspekt, dass er unfähig sei, einer geregelten Arbeit nachzugehen, sei kein Indiz für seine geringe Kompetenz, da er andererseits Diebstähle und die Hinrichtung eines Spitzels organisiert habe.
Quelle: ABC News, Associated Press
Initiative gegen die Todesstrafe e.V. | www.initiative-gegen-die-todesstrafe.de